Montag, 10. Oktober 2011

Yakkarttrekking – oder: unsere Entdeckung der Langsamkeit

Levi macht große Augen, als er das riesige zottelige Yak sieht. Und mir wird auch mulmig. Mindestens so groß wie drei Kühe, mit bestimmt 50 cm langen Hörnern. Mit einem Gesicht wie aus der Urzeit entsprungen.

Als wir es uns dann auf dem Karren hinter dem Yak bequem machen wird Levis kleine Nasenspitze erst einmal blass. Und Levi ungewöhnlich ruhig. Als der Yak sich in Bewegung setzt, klammert er sich mit seinen kleinen Händen an meiner Schulter fest. Dann lässt er eine Hand los. Mit der greift er nach Markus. So zwischen uns festgeklammert übersteht er die ersten Minuten. Dann scheint das Ruckeln des Yakkarrens nicht nur mich an das gemütlich meditative langsame Zugfahren zu erinnern.

Und so sitzen wir drei auf dem Karren, lassen uns die mongolische Herbstsonne in die Gesichter scheinen und zockeln mit geschätzten 7 Kilometern pro Stunde durch unberührte Wiesen und Hügel. Bienen, Fliegen und Mücken surren um uns herum und hie und da lässt der Yak geräusch- und geruchsvoll einen eindrücklichen Haufen fallen. Irgendwann fängt der Yaktreiber an, mongolische Lieder zu singen. Todtraurig und doch so richtig schön. Und mutig, ich würde, denke ich, nicht vor mongolischen München-Besuchern anfangen fröhliche bayerische Lieder zu trällern. Wir begegnen den zwei Amerikanern, die von einem Trekking zu Fuß zurück kommen. Wir lachen und schieben die bequeme Art der Fortbewegung auf Levi.

Seit mindestens zwei Stunden hängen wir jetzt auf dem Yakkarren herum, beobachten die sich langsam verändernden Formen der immer präsenten riesigen weißen Schäfchenwolken, Levi schnuckert Milch, ich Wasser, Markus Bier, scheuchen die Mücken weg und versuchen, im Takt der Schlaglöcher mitzuruckeln, als wir auf einmal vor einem zwar nicht reißenden, aber immerhin ganz schön breiten Fluß stehen. Ohne lange zu Zögern hält der Fahrer darauf zu. 

Die Strömung ist stärker, als erwartet und so treiben wir weit links hinter dem Yak durch das wirklich kalte Naß. Die Hand, mit der ich mich am Karrenrand festhalte taucht hie und da in Wasser ein, mit der anderen Hand umklammere ich Levi. Mein Po wird naß. Der Fluß ist an dieser Stelle mindestens 150 cm tief. Ich habe den Eindruck, dass unser Karren schwimmt wie ein Amphibienfahrzeug, aber ich wage nicht, den Kapitän in seiner Aufmerksamkeit zu stören und ihn danach zu fragen. Nach einer Schwimmweste für Levi frage ich auch nicht, aber ich screene permanent die Strömung und die Entfernung zu beiden Ufern, nur für den Fall des Schiffbruchs. Damit ich weiß, welches Ufer anzusteuern ist. Ob ich mit einem Arm – mit dem anderen presse ich ja Levi an mich, schnell genug in dem eiskalten Wasser schwimmen kann? Neinneinnein, ich will es nicht schon wieder, dieses Rabenmuttergefühl. Als ich Markus von meinen Gedanken erzähle lacht er. Aber seine Augen verraten mir, dass er mein Horrorszenario nicht für völlig ausgeschlossen hält.

Mann, muss unsere gemütliche Kaffeefahrt eine so unerwartet abenteuerliche Wendung nehmen?

Nach 10 Minuten und einer gefühlten Ewigkeit ist alles vorbei und wir rumpeln wieder über blumig saftige Wiesen. Mittlerweile haben wir uns umgedreht und schauen auf den Weg und die Landschaft, aus der wir kommen. Mein Kopf liegt in Markus Schoß und Levis in meinem. Die Faszination, so langsam reisend eine in dem Moment kaum merkliche Veränderung der Landschaft zu beobachten und nach drei Stunde doch an einem völlig anderen Ort zu sein hält uns alle in ihrem Bann. Irgendwie werden wir eins mit der ruckeligen Bewegung, den Blumen, den Wolken, dem mongolischen Gesang, dem Geruch des Yaks und seinen Hinterlassenschaften. Wir schweigen viel und ich habe doch den Eindruck, intensiv zu kommunizieren. Ich glaube, ich habe noch nie etwas Entspannenderes und doch so Kraftvolles gemacht. Diese Langsamkeit, dieses Steuer aus der Hand geben, diese monotone und doch so faszinierende Landschaft. Es fühlt sich an wie Schweben. Wenn da nicht die vom Regen tief gewaschenen Schlaglöcher wären.

Lass uns im nächsten Sommer für sechs Wochen per Yakkart durch die Mongolei reisen, schlage ich vor. 7 Kilometer pro Stunde, vielleicht 40-50 am Tag, 300 in der Woche, 1.000 im Monat – gar nicht so wenig Strecke, lacht Markus und ist dabei.

Eigentlich unglaublich, dass ich die doppelte Strecke in Deutschland an einem Tag zurücklege – morgens im Flieger hin zum Termin, abends zurück. Wobei diese zeitlose, geschenkte Stunde im Flieger – essen, lesen, Wolken beobachten – schon mit dem langsamen Geruckel des Yakkartreisens vergleichbar ist. Nur halt viel kürzer. Komprimierter. Und dadurch irgendwie nicht so gesund. Nicht so tief. Nur ein Vorgeschmack. Auf dieses besondere Gefühl. Und auch nur, wenn ich das Glück habe, keinen Termin vorbereiten oder das Erlebte nachbereiten zu wollen. Und dennoch: sechs Wochen würde ich nicht in einem Flugzeug verbringen wollen, mal abgesehen davon, dass es keine Flugstrecke gibt, die sechs Wochen dauert, oder? Weltraumflug vielleicht? – aber sechs Wochen auf einem Yakkart? Sofort! Heute vormittag hatte ich noch Bedenken, es die paar Stunden auf dem mittelalterlichen Gefährt aushalten zu können. Und jetzt? Wir liegen mittlerweile 4 Stunden im Halbkreis und wegen mir könnte es noch lange so weitergehen.

Ich frage unseren Treiber und er bestätigt meine Hoffnung: ich kann für unbestimmte Zeit eine Yakkartcrew mieten – Yak, mobile Jurte, Trekkingführer, Koch – und die Route mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Toll. Will ich unbedingt machen. Markus zum Glück auch. Doppelt schön.

Der Yak wird langsamer, schnaubt, gibt alles, bleibt an einer Pfütze stehen, trinkt, trotz ungeduldigem Schnalzen des Treibers. Wir haben die Hälfte eines Hügels erklommen. Oben angekommen rollen wir ins Gras, essen, genießen den Blick über Blumenwiesen, in die Wolken, auf Levi. Der beäugt neugierig aus sicherer Entfernung unser ungewöhnliches Transportmittel beim Grasen

Ob sich die Faszination des Reisens umgekehrt proportional zur Reisegeschwindigkeit verhält? Vielleicht, weil die Intensität des Wenigen, das wir erleben, dadurch, dass es so langsam passiert und so länger andauert, so enorm gesteigert wird. Es brennt sich ein. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den ganzen in den letzten Stunden zurückgelegten Weg vor mir, sage ich zu Markus. Und ich spüre ihn auch. Der Weg hat ein Gefühl. Ist doch Wahnsinn!! Hmmmm brummelt er.

Levi begutachtet Grashalme. Ich freue mich schon auf den stundenlangen Rückweg. Heute Abend werden wir 7 Stunden auf dem Karren verbracht haben. Ich kann es kaum erwarten, den beiden Amerikanern, bei denen ich mich vorhin fast für unsere Bequemlichkeit wegen Baby entschuldigt habe von meiner Neuentdeckung, meiner echten Begeisterung zu berichten.

Eigentlich reisen wir ja langsam wegen Levi – aber irgendwie ist es für uns keine Einschränkung. Im Gegenteil. Auf den zweiten Blick ist es auch für uns zwei außergewöhnlich schön, nichts zu erleben. Ein so intensives, besonderes, kostbares Nichts.

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4 Kommentare:

  1. Hallo Frau Malchow,
    habe gestern ein Bilderbuch mit meinen Kindern angesehen mit Fotos mongolischer Hütten und an Sie gedacht.
    Weiterhin gute Reise
    Hans-Peter Wellke

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  2. Freut mich, dass ihr nach den nicht nur positiven Erlbenissen auch noch die andere, wunderschoene Seite der Mongolei kennen lernt. Es scheint tatsaechlich so zu sein, dass man sich Zeit nehmen muss zum Reisen. Nur dann kann man das was man erlebt wirklich verarbeiten und geniessen. Ich wuensche euch weiterhin eine gute Zeit auf dem Yak-Karren :)

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  3. das hört sich wirklich wunderschön an. ich möchte auch! nur muss ich dazu gleich in die mongolei reisen...
    wie leise ist es da eigentlich? wenn man nur wiesen um sich herum hat, dürfte es doch kaum laute geben? oder wind und vögel?

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  4. Yukkas sind so toll! Und im Urlaub die Langsamkeit wieder zu entdecken, hat auch eindeutig seine schönen Seiten. Ich tue mich nur immer mit der fremden Geräuschkulisse schwer, beziehungsweise mit dem Fehlen einer solchen. Das ist sogar schon beim Südtirol Camping so und war richtig "schlimm" als wir in Mexiko im Nichts unterwegs waren. Da merke ich immer, dass ich doch ein Großstädterin bin.

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