Levi macht große Augen, als er das riesige zottelige Yak
sieht. Und mir wird auch mulmig. Mindestens so groß wie drei Kühe, mit bestimmt
50 cm langen Hörnern. Mit einem Gesicht wie aus der Urzeit entsprungen.
Als wir es uns dann auf dem Karren hinter dem Yak bequem
machen wird Levis kleine Nasenspitze erst einmal blass. Und Levi ungewöhnlich
ruhig. Als der Yak sich in Bewegung setzt, klammert er sich mit seinen kleinen
Händen an meiner Schulter fest. Dann lässt er eine Hand los. Mit der greift er
nach Markus. So zwischen uns festgeklammert übersteht er die ersten Minuten.
Dann scheint das Ruckeln des Yakkarrens nicht nur mich an das gemütlich meditative
langsame Zugfahren zu erinnern.
Und so sitzen wir drei auf dem Karren, lassen uns die
mongolische Herbstsonne in die Gesichter scheinen und zockeln mit geschätzten 7
Kilometern pro Stunde durch unberührte Wiesen und Hügel. Bienen, Fliegen und
Mücken surren um uns herum und hie und da lässt der Yak geräusch- und
geruchsvoll einen eindrücklichen Haufen fallen. Irgendwann fängt der Yaktreiber an, mongolische Lieder zu
singen. Todtraurig und doch so richtig schön. Und mutig, ich würde, denke ich,
nicht vor mongolischen München-Besuchern anfangen fröhliche bayerische Lieder
zu trällern. Wir begegnen den zwei Amerikanern, die von einem Trekking zu
Fuß zurück kommen. Wir lachen und schieben die bequeme Art der Fortbewegung auf
Levi.
Seit mindestens zwei Stunden hängen wir jetzt auf dem
Yakkarren herum, beobachten die sich langsam verändernden Formen der immer
präsenten riesigen weißen Schäfchenwolken, Levi schnuckert Milch, ich Wasser,
Markus Bier, scheuchen die Mücken weg und versuchen, im Takt der Schlaglöcher
mitzuruckeln, als wir auf einmal vor einem zwar nicht reißenden, aber immerhin
ganz schön breiten Fluß stehen. Ohne lange zu Zögern hält der Fahrer darauf zu.
Die Strömung ist stärker, als erwartet und so treiben wir weit links hinter dem
Yak durch das wirklich kalte Naß. Die Hand, mit der ich mich am Karrenrand
festhalte taucht hie und da in Wasser ein, mit der anderen Hand umklammere ich
Levi. Mein Po wird naß. Der Fluß ist an dieser Stelle mindestens 150 cm tief.
Ich habe den Eindruck, dass unser Karren schwimmt wie ein Amphibienfahrzeug,
aber ich wage nicht, den Kapitän in seiner Aufmerksamkeit zu stören und ihn
danach zu fragen. Nach einer Schwimmweste für Levi frage ich auch nicht, aber
ich screene permanent die Strömung und die Entfernung zu beiden Ufern, nur für
den Fall des Schiffbruchs. Damit ich weiß, welches Ufer anzusteuern ist. Ob ich
mit einem Arm – mit dem anderen presse ich ja Levi an mich, schnell genug in
dem eiskalten Wasser schwimmen kann? Neinneinnein, ich will es nicht schon
wieder, dieses Rabenmuttergefühl. Als ich Markus von meinen Gedanken erzähle lacht er. Aber
seine Augen verraten mir, dass er mein Horrorszenario nicht für völlig
ausgeschlossen hält.
Mann, muss unsere gemütliche Kaffeefahrt eine so unerwartet
abenteuerliche Wendung nehmen?
Nach 10 Minuten und einer gefühlten Ewigkeit ist alles
vorbei und wir rumpeln wieder über blumig saftige Wiesen. Mittlerweile haben wir uns umgedreht und schauen auf den Weg
und die Landschaft, aus der wir kommen. Mein Kopf liegt in Markus Schoß und
Levis in meinem. Die Faszination, so langsam reisend eine in dem Moment kaum
merkliche Veränderung der Landschaft zu beobachten und nach drei Stunde doch an
einem völlig anderen Ort zu sein hält uns alle in ihrem Bann. Irgendwie werden
wir eins mit der ruckeligen Bewegung, den Blumen, den Wolken, dem mongolischen
Gesang, dem Geruch des Yaks und seinen Hinterlassenschaften. Wir schweigen viel
und ich habe doch den Eindruck, intensiv zu kommunizieren. Ich glaube, ich habe
noch nie etwas Entspannenderes und doch so Kraftvolles gemacht. Diese
Langsamkeit, dieses Steuer aus der Hand geben, diese monotone und doch so
faszinierende Landschaft. Es fühlt sich an wie Schweben. Wenn da nicht die vom
Regen tief gewaschenen Schlaglöcher wären.
Lass uns im nächsten Sommer für sechs Wochen per Yakkart
durch die Mongolei reisen, schlage ich vor. 7 Kilometer pro Stunde, vielleicht 40-50 am Tag, 300 in der
Woche, 1.000 im Monat – gar nicht so wenig Strecke, lacht Markus und ist dabei.
Eigentlich unglaublich, dass ich die doppelte Strecke in
Deutschland an einem Tag zurücklege – morgens im Flieger hin zum Termin, abends
zurück. Wobei diese zeitlose, geschenkte Stunde im Flieger – essen, lesen,
Wolken beobachten – schon mit dem langsamen Geruckel des Yakkartreisens
vergleichbar ist. Nur halt viel kürzer. Komprimierter. Und dadurch irgendwie
nicht so gesund. Nicht so tief. Nur ein Vorgeschmack. Auf dieses besondere
Gefühl. Und auch nur, wenn ich das Glück habe, keinen Termin vorbereiten oder
das Erlebte nachbereiten zu wollen. Und dennoch: sechs Wochen würde ich nicht
in einem Flugzeug verbringen wollen, mal abgesehen davon, dass es keine
Flugstrecke gibt, die sechs Wochen dauert, oder? Weltraumflug vielleicht? –
aber sechs Wochen auf einem Yakkart? Sofort! Heute vormittag hatte ich noch Bedenken, es die paar Stunden auf dem
mittelalterlichen Gefährt aushalten zu können. Und jetzt? Wir liegen
mittlerweile 4 Stunden im Halbkreis und wegen mir könnte es noch lange so weitergehen.
Ich frage unseren Treiber und er bestätigt meine Hoffnung:
ich kann für unbestimmte Zeit eine Yakkartcrew mieten – Yak, mobile Jurte,
Trekkingführer, Koch – und die Route mehr oder weniger dem Zufall überlassen.
Toll. Will ich unbedingt machen. Markus zum Glück auch. Doppelt schön.
Der Yak wird langsamer, schnaubt, gibt alles, bleibt an
einer Pfütze stehen, trinkt, trotz ungeduldigem Schnalzen des Treibers. Wir
haben die Hälfte eines Hügels erklommen. Oben angekommen rollen wir ins Gras, essen, genießen den
Blick über Blumenwiesen, in die Wolken, auf Levi. Der beäugt neugierig aus sicherer Entfernung unser
ungewöhnliches Transportmittel beim Grasen
Ob sich die Faszination des Reisens umgekehrt proportional
zur Reisegeschwindigkeit verhält? Vielleicht, weil die Intensität des Wenigen,
das wir erleben, dadurch, dass es so langsam passiert und so länger andauert,
so enorm gesteigert wird. Es brennt sich ein. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den ganzen in den
letzten Stunden zurückgelegten Weg vor mir, sage ich zu Markus. Und ich spüre
ihn auch. Der Weg hat ein Gefühl. Ist doch Wahnsinn!! Hmmmm brummelt er.
Levi begutachtet Grashalme. Ich freue mich schon auf den
stundenlangen Rückweg. Heute Abend werden wir 7 Stunden auf dem Karren
verbracht haben. Ich kann es kaum erwarten, den beiden Amerikanern, bei denen
ich mich vorhin fast für unsere Bequemlichkeit wegen Baby entschuldigt habe von
meiner Neuentdeckung, meiner echten Begeisterung zu berichten.
Eigentlich reisen wir ja langsam wegen Levi – aber irgendwie
ist es für uns keine Einschränkung. Im Gegenteil. Auf den zweiten Blick ist es
auch für uns zwei außergewöhnlich schön, nichts zu erleben. Ein so intensives,
besonderes, kostbares Nichts.
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Hallo Frau Malchow,
AntwortenLöschenhabe gestern ein Bilderbuch mit meinen Kindern angesehen mit Fotos mongolischer Hütten und an Sie gedacht.
Weiterhin gute Reise
Hans-Peter Wellke
Freut mich, dass ihr nach den nicht nur positiven Erlbenissen auch noch die andere, wunderschoene Seite der Mongolei kennen lernt. Es scheint tatsaechlich so zu sein, dass man sich Zeit nehmen muss zum Reisen. Nur dann kann man das was man erlebt wirklich verarbeiten und geniessen. Ich wuensche euch weiterhin eine gute Zeit auf dem Yak-Karren :)
AntwortenLöschendas hört sich wirklich wunderschön an. ich möchte auch! nur muss ich dazu gleich in die mongolei reisen...
AntwortenLöschenwie leise ist es da eigentlich? wenn man nur wiesen um sich herum hat, dürfte es doch kaum laute geben? oder wind und vögel?
Yukkas sind so toll! Und im Urlaub die Langsamkeit wieder zu entdecken, hat auch eindeutig seine schönen Seiten. Ich tue mich nur immer mit der fremden Geräuschkulisse schwer, beziehungsweise mit dem Fehlen einer solchen. Das ist sogar schon beim Südtirol Camping so und war richtig "schlimm" als wir in Mexiko im Nichts unterwegs waren. Da merke ich immer, dass ich doch ein Großstädterin bin.
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