Levi hat sich am Bein des Stuhles, auf dem der charismatische
Philippino an unserem Nebentisch sitzt hochgezogen. Er steht und folgt der
wort- und gestenreichen englischen Unterhaltung . Die Gruppe kommt aus Manila.
Eine Familie. Der jüngste 23, der Älteste 62 Jahre alt. Ich wusste gar nicht, dass gewisse philippinische
Kreise auch untereinander Englisch sprechen.
Auf jeden Fall steht Levi nun schon seit Minuten da, auf
seiner Stirn zeichnet sich die Falte, die er von seinem Vater geerbt hat ab.
Mit ernster Miene versucht er, der fröhlichen Unterhaltung zu folgen, nach
einer Weile sich einzubringen.
Aaaaaden!!
Er hat die Aufmerksamkeit erobert, wird von dem
charismatischen Mann, der mit diesen tieftraurigen und gleichzeitig lächelnden
Augen, ausschweifendem Erzählstil und der vierten Flasche Rotwein die Familie
zusammenhält, hoch gehoben, auf seinen Schoß gesetzt. Dort thront er nun,
verhält sich ruhig und aufmerksam. Hält sich mit seinen Händen an der
Tischkante fest. Nur für den Fall, dass der nette Mann plant, ihn wieder abzusetzen.
Ich freue mich schon auf unseren Ausritt morgen, sagt die
Frau, die Levi nun gegenübersitzt und ihn unverhohlen mustert. Sie sind seit
einer Woche im Camp und machen jeden Tag einen Ausritt. In der Mongolei zu
reiten sei etwas ganz besonderes, erzählt sie weiter. Nirgendwo sonst auf der
Welt könne man eine halbe Stunde ununterbrochen galoppieren. Dann zu uns
gewandt: You are brave people, you know. Such a small baby.
Ich nicke und lache. Ich kann aus Ihrer Bemerkung nicht
herauslesen, ob sie viel zu riskant-brave oder aufmunternd-brave meint. Habe
auch keine Lust nachzufragen. Nach der letzten Nacht ist mir nicht nach Kritik.
So groß interkulturelle Unterschiede auch sein mögen,
hinsichtlich der Beurteilung unserer und meiner Reise mit Levi scheinen sie
außer Kraft gesetzt. Egal welcher
Nationalität, welchen Alters oder Geschlecht – alle finden es mutig. Und oft macht mir dieses mutig ein schlechtes
Gewissen. Manchmal bestätigt es aber auch und beflügelt. Aber dieses brave
heute ist irgendwie indifferent. Liegt aber vielleicht auch an meiner Stimmung.
Die eigentlich besser sein könnte, denn der Anruf bei Levis Kinderarzt – per
Satellitentelefon – das habe ich für den Notfall dabei – ergab, dass die
Temperatur bei Babys schon mal so stark absinken könne, beispielsweise bei
sich ankündigenden Infekten.
Der charismatische Mann hat große runde warme Augen, die so
gar nicht zu dem Rest der asiatischen Erscheinung passen wollen und mit denen
er mich nun aufmunternd anlächelt. Überhaupt erinnert er von der Statur und
Ausstrahlung irgendwie an den Mann von Penelope Cruz. Auf jeden Fall eher
südamerikanisch oder spanisch als asiatisch. Als hätte er meine Gedanken
gelesen sagt er: Hi, I am Carlos.
Levi will runter, brabbelt laut vor sich hin, krabbelt kurz
zu unserem Tisch, um dann direkt auf den heißen Ofen zu zu steuern. Ich rufe
mein obligatorisches STOP, HEIß! Levi bleibt stehen, dreht sich zu mir um,
setzt sich hin, lacht und kräuselt dabei seine Nase. Seine grünen Augen
blitzen. Dann dreht er sich um, krabbelt weiter zum Ofen. Kurz vor dem Ofen
dreht er ab und beschreibt eine schöne ausladende Kurve um das heiße Eisen,
setzt sich wieder hin, lacht, bleibt an dem Tisch der Amerikaner stehen und
brabbelt. Nachdem er auch hier seine Portion Aufmerksamkeit bekommen hat zieht
er weiter. Am Nebentisch sitzt ein Schweizer Päarchen. Er setzt sich diesmal
schweigend vor den Tisch und beobachtet deren Konversation.
Manila sei nicht so schön, erzählt Carlos. Aber Boracay sei
toll. Er gibt mir seine Visitenkarte. Ich werde euch Hotels und Inseln
empfehlen, wenn ihr mal auf die Philippinen kommen wollt. Und Borneo müßt ihr
euch anschauen. Beautiful!!!
Ich hole Levi an unseren Tisch zurück, aber er will nicht.
Also zurück auf den Boden, um jedem in der Restaurantjurte zu zeigen, wie
schnell er krabbeln kann. Er hält auf die Küche zu, verschwindet darin, stößt
kurz darauf mit einer kräftigen Arm-Handbewegung die Schwingtür wieder auf, um
vor dem Tisch der südamerikanischen Asiaten stehen zu bleiben, sich an Carlos
Stuhlbein hochzuziehen, und laut einen Redebeitrag zu leistet: Aaaden.
Aaaaaaaaden. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, seine Arme liegen auf Carlos
Bein, sein gesamter Körper ist angespannt. Aus grossen Augen mustert er die
Familie aus Manila.
Carlos hat spanisches Blut in seinen Adern, erzählt er auf
meine Frage nach seinem nicht unbedingt asiatischen Namen. Sein Ururgroßvater
sei Spanier gewesen. Aus Cadiz. Ein Seemann.
Die Frau, die uns gerade noch Mut bescheinigt hat,
beobachtet Levi mit einem wachsenden Lächeln im Gesicht. Sie breitet die Arme
aus und will, dass er zu ihr kommt. Aber er will nicht. Sie gibt sich Mühe, er
wird neugierig, sie greift nach ihm, er krabbelt laut schimpfend davon, um kurz
darauf beizudrehen und sich wieder neben Carlos nieder zu lassen.
His eyes are so sparkeling sagt sie. Sie ist Carlos
Schwägerin. Und bewegt dazu ihre Hand von der geschlossenen Faust zur weit
geöffneten Handfläche. Immer wieder. Und macht dazu ein zischendes Geräusch.
Auch ihre Augen leuchten dazu. Herausfordernd schaut sie mich an: He`s not a rabbit, he`s a tiger!
erklärt sie.
Mit feierlicher Miene und einem Tonfall, der keinen Zweifel
zulässt. Die anderen am spanisch-asiatischen Familientisch nicken bestätigend. Sie
bezieht sich dabei auf das chinesische Jahr des Tigers, das kurz nach Levis
Geburt zu Ende ging und vom Jahr des Hasen abgelöst wurde. Tiger seien mutig,
kraftvoll, kreativ, neugierig während Hasen eher leise Persönlichkeiten mit
politischen Fähigkeiten seien.
Na dann ist ja alles gut denke ich und bin stolz auf meinen Sohn. Einem Tiger können die Herausforderungen unserer Reise sicher nichts anhaben.
Beitrag kommentieren
Na dann ist ja alles gut denke ich und bin stolz auf meinen Sohn. Einem Tiger können die Herausforderungen unserer Reise sicher nichts anhaben.
Beitrag kommentieren
Oh Gott, ist Levi ein süßer Schatz! Ich liebe deinen Schreibstil, der macht das erzählte so richtig lebendig und ich fühle mich bei jedem Abschnitt, den ich lese, als wäre ich dabei gewesen. :) Meine Kinder kennen nur Brixen Hotels, da ist verhältnismäßig wenig los, aber sie brauchten trotzdem etwas Zeit, sich an die fremde Aussprache zu gewöhnen wenn jemand mit ihnen gesprochen hat. ;)
AntwortenLöschen