Jetzt sitzen wir schon seit 7 Stunden im Jeep. Ausgemacht waren 3 Stunden. Die Fahrt zu unserem nächsten Camp sollte laut Auskunft
unseres mongolischen Fahrer und Übersetzerin Nara 7 Stunden dauern. Da uns das
mit Levi zu lang erschien – 7 Stunden rumpelige Schotterpiste – hatten wir die
Idee, die Fahrt in zwei Etappen zu teilen. Zweimal 3,5 Stunden.
Zwischenübernachtung in einem Camp. Zwischen Ikh Nart und unserem neuen Ziel,
Jalman Meadows im Khan Khenti National Park.
Kein Problem, hatte Nara sofort gesagt.
Mehrmals hatte ich nachgefragt. Mehrmals hatte Nara
wiederholt: No problem. We split the drive in two halfs and sleep in a camp
after 3 -3,5 hours drive. Gut. Soweit die Theorie. Praktisch frage ich zum wiederholten Male, wann wir denn nun
da seinen bzw. ob wir nicht langsam nach einem Camp Ausschau halten können.
Seit zwei Stunden werden die Kopfbewegungen des Fahrers hektischer.
Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Bei jedem Gebäude -Tankstelle, Polizei,
Shop – hält er an, redet mit den Menschen, steigt wieder ein, fährt weiter,
viel zu schnell. Er nimmt seine Mütze ab, wischt sich damit die Stirn.
Das nächste Camp sei noch gaanz weit weg, bekomme ich zur
Antwort. Auf meine Frage, dass wir doch besprochen hätten, nach 3-3,5
Stunden irgendwo anzukommen ernte ich mittlerweile nur Naras Schweigen und
langsam lauter werdendes Fluchen des Fahrers. Meine Laune wird auch schlechter. Nicht nur dass mir langsam
übel wird – ich bin kein guter Beifahrer und Rückbank ist sowieso die Hölle –
und auch Levi wird verständlicherweise langsam ungeduldig. Ich möchte eine Pause, sage ich.
Nara schaut starr geradeaus. Ihr Gesicht hat einen neutralen
Gesichtsausdruck. Egal, wie sehr der Fahrer flucht oder ich auf einer Klärung
der verfahrenen Situation insistiere. Nur manchmal meine ich zu erkennen, dass
sie ihre kleinen Augen noch ein wenig mehr zusammenkneift.
Wir halten. Levi krabbelt über die Blumenwiese. Wir trinken
Tee. Ich krame meine Mongoleikarte heraus. Will wissen, wo wir sind, wo Jalman
Meadows ist und wo das Zwischenübernachtungscamp so ungefähr sei. Ich ernte verständnisloses Achselzucken. Mongolen fahren nicht nach Straßenkarten, sagt Nara. Wo die
Camps sind, kann sie auch nur grob umreißen. Ihre Finger umkreisen bei jedem
erzwungenen Antwortversuch eine andere Region auf der Karte. Also fahren wir weiter.
Nach zwei weiteren Stunden reicht es mir: Ich will nach Ulan
Batar, sage ich. Ich hab die Nase voll.
Ohhh, Ulan Batar is very far now, sagt Nara.
Und wie weit ist irgendein Camp? Dann will ich jetzt in ein
Camp.
Hier gibt es keine Camps.
Wo sind wir.
Achselzucken.
Dann ist es mir wurscht, ich will nach Ulan Batar.
Wir sind bald in Jalman Meadows, rutscht es Nara raus.
?????
Noch 2-3 Stunden.
Levis Beschwerden werden lauter. Ich habe keine Ahnung, wie
ich ihn noch im Auto bespaßen soll. Alle Bücher sind mehrmals gelesen, alle
Fingerspiele durch. Mein Hirn leer, mein Magen rebelliert.
Markus und ich wechseln zum x-ten Mal den Platz und er kümmert
sich wieder um Levi.
Ich will jetzt sofort in ein Camp. Ich fahre keine 3 Stunden
mehr. Sofort anhalten.
Der Fahrer schaut erschrocken, dann wütend. Dann flucht er
los. Auf mongolisch. Ich fluche deutsch zurück. Und bestehe auf Anhalten. Wir stehen uns gegenüber. Ich nehme ihn mit meinen
funkelnden Augen ins Visir, er schaut starr an mir vorbei. Als ich auf Ulan Batar bestehe und darauf, dass er mir die
Stadt, an der wir vor 20 Minuten vorbeigefahren sind auf der Karte zeigt,
flippe ich total aus. Die Stadt ist ca. 35 Minuten Fahrt von Ulan Batar entfernt.
Und 10 Minuten von der Einfahrt zum Terelj Nationalpark. Mit Tausenden von
Camps. Der Terelj ist die Haupttouristenattraktion der Mongolei – deswegen
wollten wir auch nicht hin. Die Schweiz der Mongolei wird der Park auch
genannt. Wegen der Berge.
Aber im Terelj Park gibt es doch viele Camps, warum sind wir
nicht da hin gefahren? Schweigen auf der mongolischen Leitung. Dann fahren wir dorthin zurück, entscheide ich in Ermangelung
irgendwelcher mongolischer Äußerungen. Die Gesichtszüge unseres Fahrers entgleiten. Sein Mund steht
offen, ohne dass ein Ton herauskommt. Jetzt starrt er mich an. Wird bleich.
Seine Füsse trippeln hin und her, ohne dass er sich von der Stelle bewegt. Zurückfahren
scheint gegen mongolische Fahrerehre zu verstoßen. Schweiß steht auf seiner
Stirn. Vielleicht gibt es auch irgendwelche anderen Gründe, warum er meint, uns
trotz gegenteiliger Versprechungen heute schon nach Jalman Meadows bringen zu
müssen. Mir fällt aber keiner ein. Vielleicht übersetzt Nara irgendwelchen
Quatsch. Keine Ahnung, was hier schiefläuft. Aber irgendetwas läuft komplett
schief.
Aber als ich vor 2 Stunden gefragt habe, wieweit Ulan Batar
ist, habt ihr gesagt: zu weit? frage ich erneut nach, um irgendwie zu
verstehen, was hier vor sich geht. Und
vor einer halben Stunde sind wir quasi an den Toren Ulan Batars
vorbeigebraust?!?
Irgendwie dämmert mir, dass beide mit unserer Routenänderung
– wir möchten einen geplanten Tagestrip in zwei Tage teilen und zwischendrin
übernachten – aus irgendwelchen Gründen zu überfordern scheint. Jalman Meadow ist ganz nah, sagt Nara. Noch 1,5 Stunden. Gerade hast Du doch 3,5 Stunden gesagt, frag ich zurück. Schweigen.
Ich kann nicht mehr, Levi weint und Markus hat auch keine
Idee. Das Schlimmste ist dass wir keine Wahl haben. Wir können kein Taxi rufen,
oder aussteigen und Türen knallen. Wir müssen mit den beiden zu irgendeinem
Ziel kommen. Also blättern wir im Reiseführer finden ein Hotel im Terelj
Park, zeigen mit dem Finder auf den mongolischen Namen und bestehen darauf.
Aber da müssen wir jetzt eine Stunden zurückfahren und
morgen wird die Fahrt dann länger, gibt Nara zu bedenken. Ist mir egal. Sage ich. Ich glaube euch eh keine Wort mehr,
denke ich. Wie lang geht die Fahrt dann morgen, frage ich. 3-4 Stunden,
sagt Nara. Ihr Gesicht war und ist regungslos. Ihre Stimme ist ruhig und leise.
Passt, sage ich. Warum lügen die uns an, frage ich Markus.Nara versteht doch deutsch, gibt der leise zurück.
Ist mir sowas von egal, schimpfe ich zurück. Im gleichen
Moment tut es mir irgendwie auch leid.
Als der Fahrer begreift, dass er nun zurück fahren muß, geht eine Schimpftirade allerbester Güte über uns nieder. Wir ertragen sie heldenhaft, bleiben hart und fügen uns in diese offensichtlich aus mehreren kulturellen Mißverständnissen geborene Situation und sitzen 45 Minuten später in einem kuscheligen Hotelzimmer, das Badewasser läuft ein, Abendessen ist bestellt und Levi gluckst zufrieden auf dem weichen Bett.
Ich bin wirklich gespannt, wie lange wir morgen unterwegs
sind, ob der Fahrer überhaupt wieder
auftaucht und wo wir morgen landen, und wann lachen wir uns fast hysterisch den
Frust des Tages von der Seele.
Geiselnahme als mongolische Geschäftstaktik, ich muss später
unbedingt googeln, ob das auf der touristischen Tagesordnung steht.
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Wow, ziemlich unangenehme Situation. Leider hoert man von der Mongolei immer mal wieder krumme Dinger. Meinen Respekt, dass du diese tolle, aber oft auch anstrengende Reise mit einem Baby unternimmst. Die meissten Leute wuerden sich das niemals trauen. Aber wo ein Wille ist, da ist fast immer auch ein Weg!
AntwortenLöschenDas ist ja der totale Wahnsinn. ICh wäre wohl komplett ausgetickt!!!
AntwortenLöschenHallo Jonas, danke. Genauso ist es - eine absolut geniale Reise mit wenigen Momenten, bei denen ich denke: oh Mann, ich kann nicht mehr. Aber wenn die Situation dann bewältigt ist, fühlt es sich toll an und ich bin schon ein bisschen stolz dann. Auf meinen Sohn und auch auf uns als Reiseteam. Danke fürs Lesen und kommentieren!! Grüsse aus der Mongolei, Julia
AntwortenLöschenHallo Jürgen!! Bin ich auch, innerlich. Früher hätte ich randaliert. Aber mit Sohn muss ich ja Vorbild sein - war aber nicht leicht:))) Alles Liebe und bis bald, bei Fisch Witte!!! Julia
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