Samstag, 8. Oktober 2011

Flower Power

Um 12 Uhr holen der Fahrer und Nara uns ab, um 13.30 steigen wir am Jalman Meadows Camp wieder aus. Die Frage, warum aus den prognostizierten 3,5 Stunden von gestern auf einmal angenehme 1,5 Stunden wurden spare ich mir.

Hinter uns liegt eine landschaftlich faszinierende Fahrt: mehrere Flüsse haben wir überquert, dann über grasige Steppe, vorbei an heiligen Chorten mit im Wind flatternden blauen Gebetsfahnen geschmückt. Zu Beginn der Fahrt haben wir noch einige Jurtencamps gesehen, nach 45 Minuten sind wir durch unberührt wirkendes Grasland gebraust.

Kurz vor dem Ziel wurde es wieder hektisch im Wagen. Offensichtlich suchten die beiden das Camp und versuchten sich irgendwie an den Hügeln zu orientieren. Wir beobachteten das Spektakel schweigend von den hinteren Reihen, Levi schlief. Wie in Ikh Nart war ich voller Ver- und Bewunderung, dass der Fahrer letztlich auch dieses Camp findet.

Ich springe aus dem Wagen, atme durch, suche uns eine der freien Jurten aus, die ganz am Ende des Camps, auf einem Hügel, mit Blick in die Weite, hole uns Tee, setze mich vor unser neues Zuhause in die Sonne und atme tief durch. Nach der Enge des letzten Tages ist das Freiheitsgefühl bei hügeligen Grassteppenlandschaft und leichter Brise überwältigend.

Levi nutzt seine wiedergewonnene Freiheit und krabbelt an den Rand der Decke, die ich für ihn ausgebreitet habe. Dann krabbelt er den Rand der Decke ab, hebt mehrmals die Hand, lässt sie fast ins Gras sinken und zieht sie dann kurz vorher doch zurück. Dreht sich um und schaut mich an. Dieses Bewegungsabfolge wiederholt er mehrere Male bis ich es begreife: der traut sich nicht, auf das hohen blumendurchzogenen Gras zu krabbeln.

Ein Skifahren mit Freunden in einer Schweizer Hütte vor gefühlten Tausend Jahren fällt mir ein. Ein Freund hatte einen Freund aus Südkorea mitgebracht, der noch nie Schnee erlebt hatte. Der hat mit seinen Füssen ähnliches vollführt, wie Levi jetzt mit seinen Händen, als er das erste Mal vor die Hütte getreten ist. Und es lag viel Schnee in diesem Jahr. Hinterher hat er lachend erzählt, dass er sich, obwohl er natürlich rational vom Gegenteil überzeugt war, nicht sicher war, ob der Schnee ihn tragen würde.

Also pflücke ich eine Blume und kitzle damit Levis Nase. Er prustet los, greift nach der Blume. Ein Edelweiß. Ein Edelweiß??? Ich schaue genauer hin. Tatsächlich. Ein Edelweiß. Die ganze Wiese ist voll davon. Ich dachte, das sei das Nationalsymbol der Schweizer? Außerdem funkelt die saftig grüne Wiese lila, gelb, rosa, rot und blau. Eine richtig tolle gigantisch geniale Bumenwiese. Durchzogen von hohen Gräsern und Graswedeln. 

Hat auch Levi jetzt gemerkt. Und die Neugier auf die Blumen lässt ihn seine Angst vor dem eventuell babyfressenden Gras überwinden. Und er krabbelt los. Erst langsam, dann rennbabyschnell. Er verschwindet fast vollständig zwischen den ganzen Blumen und hohen Gräsern. Nur die Hüpfbewegung seines blau-weiß-gestreifter Mützenkopf ist zu sehen. Und das Taumeln der Gräser und Blumen, die Levi auf seinem Weg  mit seinen ausladenden Bewegungen rechts und links von sich touchiert.

Vor einer Ansammlung lilafarbener Glockenblumen bremst er ab. Setzt sich hin, schaut die Blüten eine Weile an, um dann sorgfältig die Köpfe von den Stengeln zu trennen. Mit seiner Beute steuert er die Decke an. Um sein Ziel nicht zu verpassen, muss er ein paar mal anhalten und seine Nase über die ganzen Blumenköpfe heben. Wir bejubeln seine motorische Meisterleistung, als er bei uns ankommt. Zufrieden krabbelt er wieder los. Und so ist er locker eine Stunde mit Blumengucken und –pflücken beschäftigt. 

Und wir beobachten ihn dabei. Wie er sich immer ein Stückchen tiefer in den Blumenwald hineintraut. Sich immer wieder vergewissert – hinsetzen, Nase heben -dass wir ihn noch sehen. Beobachten. Dass wir dabei zur Abwechslung mal Weißwein trinken scheint ich nicht zu stören. Glücklicherweise..

Es ist ewig her, dass ich mir eine Blumenwiese so angeschaut habe. Wir meditieren praktisch über dem Blumenmeer. Das ist so entspannend. Einfach rumhängen, Levi beobachten und auf die Blumen schauen. Die Farben, Formen, wie sie sich im Wind bewegen. Eine Ruhe und Zufriedenheit breitet sich in mir aus. Ohne Levi hätten wir das so sicher nicht erlebt.

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