Was die Pariser Umgebung für die Impressionisten war, sind
die Dörfer nördlich und östlich von Peking für die chinesische Kunstszene
heute. Doch keines kann mit Song Zhuang mithalten. Sagt der Wallpaper
Reiseführer. Das Hotel organisiert den Fahrer, da ich nach unserer
Erfahrung gestern – keine funktionierenden Gurte, keine Ortskenntnis und
mehrere Vollbremsungen, bei denen ich alle Mühe hatte, Levi und mich vor einem
schmerzhaften Aufprall zu bewahren – keine Lust auf einen öffentlichen
Taxifahrer habe. Was für ein Auto wir bevorzugen? Ich entscheide mich für die
günstigste Kategorie, irgendein chinesisches Auto.
Levis Kindersitz ist vermutlich der erste und letzte der
jemals im Maserati Quattroporte festgeschnallt wird. Chinesische Autos waren
nicht mehr verfügbar. Alle Gäste buchen immer die günstige Kategorie, lacht der
Guest Relations Manager in mein irritiertes Gesicht. Also los.
Leider erlaubt der Verkehr nicht
das Ausfahren des edlen Gefährtes. Nach 45 Minuten Fahrt
und zwei Stopps an Touristeninfopunkten zweigt der Fahrer auf eine Halle. Yes?
Noo!
Wir stehen auf einer breiten vielbefahrenen Straße mit
trashig wirkenden Shops und halbverfallenen neonbeleuchteten Gebäuden rechts
und links. Keine Spur von baumgesäumten Künstlercharme, wie es das Internet
versprach. Also weiter.
Der nächste Stopp. Fingerzeig. Kopfschütteln Weiter. Der dritte Infopoint hat eine Karte des „Künstlerdorfes“ und
eine halbwegs englischsprechende Mitarbeiterin. Wir sind also schon mittendrin, sagen beide. Der kreative Ort besteht aus 20 Künstlerdörfern, 100
Gallerien und 20 Museen. Verteilt auf 116 Quadratkilometern. Zunehmend von
offizieller systemkonformer Seite inspiriert.
Verloren steuern wir ein Cafe an. Stilecht gibt es Chips und Popcorn. Viele Gallerien haben gerade geschlossen oder werden
renoviert, erklärt Song Li. Die Besitzerin des Cafes. Ihr Sohn sitzt an einem
der Tische und macht Hausaufgaben. Levi schlinselt zu ihm herüber. Die meisten
Menschen kommen in organisierten Touren. Um selbst zu malen. Ihr Mann sei
Fotograf. Er ist gerade beim Angeln. Was sie uns empfiehlt? Frage ich sie. Sie
lacht und schaut fragend zurück.
Zweiter Versuch: was sie von der Sunshine Gallery oder dem
Harmony and Tranquility Art Museum halte frage ich und zeige mit meinem Finger
auf die beiden Gebäude auf meiner im dritten Infopoint erstandenen Song Zhuang
Karte. United Nations Human Settlements Program International Exemplary Model
Award steht drauf. 2008. Ist noch nicht so lange her. Sie schaut fragend zurück.
Irgendwie hat in China niemand
eine Meinung. Ist mir gestern schon aufgefallen, als ich nach dem Kunstviertel 798 gefragt habe. Wie es dort sei und ob wir da hinmüssen. Oder
vorgestern nach einer Restaurant Empfehlung für moderne chinesische Küche. Wo
hippe Einheimische hingehen.
Also laufen wir einige Minuten die Song Zhuang Autobahn
entlang, schauen in die wenigen offenen Gallerien hinein, finden zwei ganz
spannende Künstler und haben irgendwann schwere Füße, staubige Kleider und
Durst. Levi hängt im Babybjörn und beobachtet alles mit kritisch
distanzierter Miene, aber ohne Kommentare abzugeben. Sich laufend, also per pedes, etwas zu erschließen scheint
ein Konzept der alten europäischen Welt zu sein. Eventuell sogar ein rein
deutsches Phänomen.
Nachdem der Maserati nicht zu sehen ist halten wir eine
dreirädrige Motorrikscha an und wollen zum Harmony and Tranquility Art Museum.
Letzter Versuch. Wohin?
Wir lotsen die Dame, holpern über sandige Schotterpisten,
vorbei an einem kleinen Teich, an dem mehrere Menschen Angeln hineinhalten und
einer am Ufer sitzt und mit Papier und Kartonagen herumhantiert, um nach
mehreren Stopps, bei denen unserer Fahrerin mit Passanten diskutiert vor einer
verschlossenen Halle zu stehen.
Ich halte dem Maseratipiloten den Ausdruck vom Stone Boat
Cafe im Rinta Park unweit des Opposite House unter die Nase und 25 Minuten
später trinken wir Ingwer Tee und Martinicocktails und füttern Levi mit Hilfe
von Chop Sticks mit homemade Dumplings. Lecker.
Am Tisch gegenüber diskutiert eine generationenübergreifende
6-köpfige Gruppe schwäbischer Familienunternehmer, dass der chinesische Müll
halt nicht zu ihren Müllverarbeitungsanlagen passt.
Irgendwie scheint der Versuch nach China zu expandieren
heute nicht so erfolgreich verlaufen zu sein.
Die zweite Runde Bier kommt, das Lachen wird lauter. Gut,
wir waren 10 Minuten zu spät, und dann hatte er keine Zeit mehr. Wären wir zehn
Minuten zu früh gewesen, hätte er zwei Stunden gehabt, sagt der eine mit den
Hosenträgern. Außerdem war der Gesprächseröffner des einen Chinesen über die
Statik unserer Anlage doch total daneben. Die Statikfrage muss heute noch gelöst
werden. Bitteres Lachen am Tisch. Lass uns gehen, die warten doch schon beim
Essen. Solln sie doch. Die dritte Runde Bier.
Statt eines Taxis reagiert ein Rikschafahrer auf mein
Winken. Ich halte ihm den Zettel unseres Hotels unter die Nase, er nickt und
braust los. Ohne in die Pedale zu treten. Elektro-Rikscha.
Der Fahrtwind weht uns um die Nase. Schön. Schnell. Ganz schön schnell.
Nachdem wir von der gemütlichen baumgeschmückten Straße in
eine Hauptverkehrsader einfädeln und der Fahrer auch noch auf der Überholspur
der Gegenfahrbahn – also als Geisterfahrer – einbiegt und Levi sich an mich
krallt mit offenem
wortlosen Mund, finde ich das nicht mehr so schön.
Nach 10 Minuten und mehreren fast Kollisionen mit Autos, die
das Tempolimit mindestens um die doppelte Geschwindigkeit überschreiten stehen
wir vor einem uns unbekannten Hotel und der Pilot will 150 Juan.
Wir zeigen auf den Zettel. Er zeigt auf das Hotel. Nach einigem Hin und Her fahren wir weiter als
Geisterfahrer, auf immer größeren Straßen. Ich halte nach richtigen Taxen
Ausschau, die auf einmal im direkten Vergleich mit diesem durchgeknallten
Elektrorikschafahrer die gesündere sicherere Alternative zu sein scheinen,
Markus nach einem irgendwie bekannt aussehenden Hochhaus. Mir wird flau, ich
will raus. Aber für Levi muss ich ja entspannt bleiben. Gar nicht so leicht, so
als Geisterfahrer. Markus hat seine Nase weit aus der Rikscha gelehnt, sucht
mit zusammengekniffenen Augen. Manchmal dreht er sich zu uns um und versucht
ein schiefes Lächeln. Levi strahlt zurück. Sollten wir das hier überleben werde
ich nie wieder, wirklich nie nie wieder in Peking eine Rikscha besteigen, sage
ich. Das Gebäude kenne ich, ruft Markus triumphierend.
Levi bekommt noch orginal australische Ugg Boots für 5 Euro
aus dem Replikamarket und wir eine Flasche italienischen Rotwein im auf
spanische Tapas spezialisierten Restaurant Sureno. Während Levi im Maxicosi
friedlich an unserem Tisch schlummert fragt uns das junge chinesische Paar am
Nebentisch, ob das Leben sich durch ein Baby eigentlich stark verändert.
Beitrag kommentieren
Beitrag kommentieren
Wie immer ein wunderbarer Bericht über eure Reise. Ich wusste gar nicht, dass es sogar Elekro-Rikschas gibt. Nach deiner Schilderung hätte ich da aber wohl auch eher Angst vor. ;) Mit unserer kleinen planen wir noch keine Fernreise, aber kommenden Sommer zum ersten Mal Camping Brixen. Ich bin total gespannt, wie sie darauf reagiert, in einem Zelt zu übernachten, das nicht im Garten bei Mama und Papa steht.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Sabine