Dienstag, 4. Oktober 2011

Das Kind mit dem Bad ausschütten

Was auch immer das im übertragenen Sinne bedeutet – ganz real ist es uns heute passiert.

Nachdem wir die sternenklare Nacht vor unserer neuen Jurte verbracht und uns langsam die Wünsche ausgingen bei all den Sternschnuppen – weder in der Serengeti noch im Landesinneren von Australien war der Sternenhimmel so beeindruckend und romantisch, meiner subjektiven Meinung nach – haben wir ihn heute beim Frühstücken das erste Mal gesehen. Neugierig ragte eine ca. 95 cm über dem Boden schwebende kleine Rotznase hinter der Tür aus der Restaurantjurte nach draußen. Vermutlich sind wir die ersten Gäste, die die kleinen niedrigen Holztische aufgrund des wunderbaren Sonnenwetters nach draußen gestellt haben und genüßlich in der Sonne Frühstücken. Dass wir derzeit die einzigen Besucher des kleinen 10-jurtigen Camps sind macht die Sache noch ein bisschen schöner. Abenteuerlicher.

Das Frühstück ist überraschend gut: Müsli, Tee, ein bißchen Obst, Brot, Käse, Rührei. Komisch, dass in jedem Reiseführer vor den basalen und fleischlastigen mongolischen Essmöglichkeiten gewarnt wird und wir deswegen eine riesige Auswahl an vollkornigen Müsliriegeln dabei haben. Aber heute ist ja auch der erste Tag weit weg von Allem, mal schauen, wie lange die Vorräte halten.

Zur Nase gehört ein nackter kleiner Junge, dessen Füsse in hellblauen Gummilatschen stecken. Der Sohn des Campbetreiberpaares. Er ist zwei Jahre alt, soviel haben wir aus der rein mongolisch-zeichensprachigen Unterhaltung mit den Eltern verstanden. Levi lässt sofort seinen Löffel fallen, zappelt sich von Markus Schoß runter und krabbelt auf den kleinen Mongolen zu. Freudig quickend.
Der rennt darauf hin ins Innere der Restaurantjurte, versteckt sich hinter den Beinen seines Vaters, der gerade Joghurt bringen möchte, und fängt jämmerlich an zu weinen. Manche interkulturellen Freundschaften brauchen Zeit.

Das Camp steht zwischen urzeitlich anmutenden Fels-Sandstein-Formationen. In der Nähe wurden Dinosaurierfunde gemacht. Auch eine nukleare Forschungsstation, hier wird Uran abgebaut, muß ich später mal googeln, ob ich das richtig verstanden habe, in der russische, deutsche und mongolische Forscher gemeinsam arbeiten gibt es in der Nähe. In der Morgen- und Abenddämmerung färben sich die Felsen, deren unterschiedlich farbige Schichten aussehen, als sei das Meer gerade eben erst abgeflossen, in allen erdenklichen und sehr beeindruckenden Rottönen. Wie bei den Flaming Cliffs, sagt der Vater stolz. Und ob wir heute Kamelreiten wollen. Und deutet auf die zwei dazugehörigen höckrigen Geschosse, die in 100 Metern Entfernung gemütlich grasend ihrerseits ihr Frühstück zu sich nehmen. Maybe tomorrow. Wir sind mit Rumsitzen und Camp genießen erst einmal ausgelastet.

Unsere Gastjurte ist genauso groß, wie eine normale Nomadenjurte, geschätzte 4-5 Meter Durchmesser. Der Boden ist mit einer in Parkettoptik bedruckten Folie ausgelegt. In der Mitte steht ein Ofen, dessen Rohr in der Mitte des Jurtendaches nach draußen führt. Das Jurtendach ist in der Mitte öffenbar, in einer Falt-Wickeltechnik auf Basis von zwei Stricken, die außerhalb der Jurte vertaut werden – wenn das Dach geschlossen ist neben dem Eingang, sonst auf der hinteren Seite. Heute morgen, als wir noch im Bett lagen, hat ein nettes mongolischen Mädchen unseren Ofen angezündet und das Dach geöffnet.

Mit warmen Füssen und der Sonne im Gesicht den ersten Tee schlürfen, während Levi noch zufrieden schnarcht, eingewickelt in seinen Fleeceanzug und unter drei Decken. Nachts wird es verdammt kalt. Um die Null Grad. Hinter dem Ofen steht ein orange angestrichenes Holzdoppelbett, rechts und links davon ein Tisch mit niedrigen Hockerstühlen sowie ein hölzernes Schränkchen mit eingebautem Waschbecken. Der Kanister, an dem der Spiegel befestigt ist, muss manuell mit Wasser befüllt werden. Auf dem Boden kniend habe ich, mich im Spiegel betrachtend, heute morgen die Zähne geputzt. Das Grinsen ist mir seitdem nicht mehr aus dem Gesicht gefallen. So unglaublich einfach und schön.

Zum Camp gehören zwei Toilettenhäuschen, eines am Eingang zum Camp und eines am anderes Ende, sowie zwei Duschjurten. In der Mitte der Duschjurte steht ein etwas größerer mit Holz und getrocknetem Kuh- bzw. Yakmist befeuerter Ofen, auf dem ein riesiger Metalleimer mit Wasser thront. Weiterhin befinden sich drei mit kaltem Wasser befüllte beulige Eimer und zwei riesige wie Wasserpistolen anmutende Platikgeräte, Handtücher und Platiklatschen in der mongolischen Dusche.
Alles, was man braucht, sozusagen.

Heißes und kaltes Wasser werden in die Wasserpistole eingefüllt, dann wird gepumt, die Platikpistole ist in Wirklichkeit eine Fahrradpumpe mit Duschkopf statt Ventil, der Duschkopf am Jurtendach befestigt und los geht’s. Beim ersten Mal verbrenne ich mich fast, beim zweiten Mal ist es zu kalt, aber dann geht’s. 

Aber das Highlight des Tages ist die Platikwanne, die Levi leihweise von dem kleinen schüchternen mongolischen Jungen bekommt. Orange, mit rutschfestem Boden. Bei Baby-Walz gibt es keine besseren . Wir füllen die Wanne im Duschzelt mit hoffentlich 38 Grad warmem Wasser, setzten Levi hinein und tragen sie in die Nachmittagssonne. Der fängt sofort vor Glück an zu zappeln und zu plantschen und zu spritzen. Hinter der Duschjurte machen wir eine kleine Nasenspitze aus. Mehr nicht.
Wird schon noch.

Der sanfte mongolische Wind erzeugt kleine Wellen und insbesondere die dadurch entstehenden immer neuen Sandformationen direkt vor der Wanne erregen Levis Aufmerksamkeit. Leider nicht Markus`.
Durch den Sucher meiner Kamera kann ich aus 15 Metern Entfernung alles genau beobachten. Levi steht auf. Sein kleiner nasser Körper funkelt in der hellen mongolischen Sonne. Er beugt sich vor, greift nach dem vorbeiwirbelnden Sand,  kippt nach Vorne, die Wanne kann seinen stattlichen 9,6 Kilo nicht Stand halten und kippt ihrerseits nach vorne. Und so liegt Levi im mongolischen Matsch. Erst weniger dann zunehmend begeistert. Dann spritzt es zu allen Seiten. Das zur Nasenspitze gehörende Gesicht lacht, als wir in der Duschjurte verschwinden, in der Hoffnung, dass das Wasser noch nicht komplett verkocht ist.

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