Donnerstag, 29. September 2011

Zwischenwelt mongolische Sonnenterrasse


Ich höre ein altbekanntes Rattern. Obwohl wir alle in der Sonne vor unserer Jurte rumhängen. Markus mit geschlossenen Augen und Bier in der Hand. Ich mit dem schlafenden Levi auf meinem Schoß und mit Blick auf die einen Kilometer entferne Rechtskurve der Eisenbahnschienen. Und auf den Zug, der von meinem linken zu meinem rechten Blickfeldrand rattert.

Wie ein kleines unabhängiges mit der Außenwelt unverbundenes Universum fährt der Zug durch die Steppe. Gestern war ich noch Teil davon. Ich weiß, wie die Menschen sich darin fühlen, denke ich. Und plötzlich fühle ich mich ganz bei mir. Levi seufzt zufrieden, wie auf Bestellung.
Es ist schwer, dieses Gefühl in Worte zu fassen. Diese Faszination, die tagelanges Zugfahren plötzlich auf eine bekennende Nicht-Bahn-und-auch-nicht-U-Bahn-Fahrerin ausübt.
Zeitloser Raum. Wie Leben und trotzdem nicht älter werden. Alles, was außerhalb des Zuges relevant war, hat hier keine Bedeutung. Steht am Bahnsteig, oder zwischen den Birken, und darf nicht mit. Ätsch.

Markus öffnet sein rechtes Auge, lächelt mich an. Erzählt was von seinem Job, was ihn die letzten Tage beschäftigt hat. Er ist praktisch aus seinem letzten Termin in den Flieger nach Peking gehetzt. Ich höre mir widerwillig seine Themen an. Interessiert mich gerade gar nicht, was zu Hause so los ist. Aber Markus interessiert mich doch?
In einer Redepause starte ich einen weiteren Versuch, das Zuggefühl in Worte zu fassen und somit teilbar zu machen.
Markus schließt beide Augen, atmet tief, nimmt einen Schluck Bier. Levi räkelt sich. Klingt spannend, sagt er.
Sollen wir ein bißchen wandern gehen, Richtung Zugschienen vielleicht oder hast Du Hunger? frage ich. Die Frage nervt mich selbst. Bis gestern konnte ich einfach aufstehen oder was zu essen bestellen. Was schlägst Du vor, fragt Markus. Wenn Du keinen Hunger hast laufen antworte ich. Hunger hab ich schon, sagt der. Japanisch oder mongolisch, frage ich. Statt einfach was zu bestellen. Markus stöhnt. Wie hast Du Dich eigentlich versorgt die letzten Tage, fragt er. Du nervts, sage ich. Und bin traurig. Irgendwie habe ich mich auf Markus gefreut. Gedacht dass alles noch viel schöner wird zu dritt, als zu zweit.
Aber dieses ewige Abstimmen, Vorschläge machen, schauen, dass alle glücklich sind, keiner zu kurz kommt. Das nervt. Dabei will ich doch nur, dass alles perfekt ist, für uns alle.
Mach einfach wie Du meinst, sagt Markus. Ich mach gerne mit. Ich sag schon, wenn mir was nicht passt. Passt aber alles. Und lächelt mich an aus seinem rechten Auge, um das herum sich ein grauer Müdigkeitsschleier abzeichnet.
Ich will aber, dass alles super toll ist, dass Markus sich integriert fühlt. Sag doch einfach, ob Du eine Präferenz hast, gebe ich zurück. Und fühle mich in einer ewigen Schleife der überflüssigsten „Wer-trägt-den-Müll-runter-Diskussion“ gefangen.
Toll, dass es deinem Vater besser geht, lenke ich ab. Oder ein. Der liegt seit einigen Wochen im Krankenhaus, seit kurzem scheint es bergauf zu gehen. Lange hatten wir diskutiert, ob diese Reise überhaupt ok ist, bei seinem Zustand. Da entlang der gesamten Strecke fast täglich Flughäfen lagen und es dann doch eine positive Wendung gab entschieden wir uns dafür.
Markus nickt, steht auf und bestellt. Mongolische Fleischtaschen und japanische Suppe. Auf dem Weg zurück zur Terrasse stolpert er über die Türschwelle. 

Ich will morgen noch nicht weiter, sage ich, kauend. Ist mir zu viel, irgendwie. Levi knabbert an den Chop Sticks, Markus und ich essen mit den Händen. Dann bleiben wir noch hier, sagt Markus. Lehnt sich zurück, genießt die Sonne und döst weg. Levi jagt Chop Sticks und ich schaue auf die entfernten Gleise.
Diese Terrasse ist wie eine Zwischenwelt seit zwei Tagen. Meine Enttäuschung und Verunsicherung über die familiäre Stimmungslage lassen sich hier, im Halbliegen noch ganz gut ertragen.  Draußen droht die Katastrophe, befürchte ich.


Markus Mund öffnet sich leicht. Levi krabbelt rüber zu seinem Vater und bestaunt seine Zähne. Fasst ihm an die Nase, an die Lippen. Markus wacht auf, lacht. Levi lächelt zurück, macht eine schnelle Drehung, krabbelt 5 Schritte in meine Richtung, bleibt stehen, setzt sich hin, lacht Markus erneut an. Markus streckt die Arme nach ihm aus, Levi krabbelt auf ihn zu, kuschelt sich in Markus Arme, beide schlafen ein.
Sieht doch ganz einfach aus, denke ich.

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