Dieser Zug ist das komplette Gegenstück zum Baikalexpress. Voller Touristen. Holländer. Gaaanz viele Holländer. Schweizer, Österreicher, Deutsche. In Ulan Ude steigen ein paar Chinesen und Mongolen dazu.
Die Österreicher Manfred und Irene sind in Wien in den Zug gestiegen und fahren bis nach Lhasa.
Wow. Sie finden es toll, von dem Bahnhof, von dem sie normalerweise zu ihren Jobs gefahren sind, jetzt für 6 Monate aufzubrechen. Eine ähnliche Geschichte hat mir ein Amsterdamer Päärchen am Baikalsee erzählt. Vom Amsterdamer Bahnhof sind sie nach Nepal aufgebrochen. Für 6-12 Monate. Auf der Suche nach neuen Inspirationen für ihr Leben. Und auf der Flucht vor der Langeweile und Routine ihrer Jobs. Gekündigt haben beide. Kein Sabbatical, wie Manfred.
Manfred war letztes Jahr schon einmal mit der Transsib aufgebrochen. In der Ukraine hat man ihn aus dem Zug geworfen und in ein Krankenhaus zwangseingeliefert. Er hatte starkes Fieber. Und sah auch sonst nicht so gut aus, berichtet er. Im Krankenhaus fand man dann nichts. Wollte ihn aber festhalten, da er ja nicht gut aussah.
Irenes Eltern fuhren dann 11 Stunden von Wien in das Ukrainer Krankenhaus, entführten den Freund ihrer Tochter und fuhren ihn 11 Stunden über schlechteste Straßen zurück nach Wien. Dort wurden Löcher in seinem Darm festgestellt, Manfred sofort notoperiert. Knapp überlebte er die Aktion.
Mit leuchtenden blauen Augen steht er jetzt vor mir. Ich habe auch so eine Geschichte erlebt, behalte sie aber für mich. Menschen, die dem Tod nahe waren haben irgendwie eine besondere Ausstrahlung. Finde ich. Zumindest diejenigen, die aus diesem Erlebnis etwas mitnehmen, die es nicht einfach leichtfertig verdrängen. Manfred ist so einer. Diese Tiefe strahlt er aus. Ein besonderes Bewußtsein für das Leben vielleicht. Dafür, dass wirklich jeder blöde Alltagsmist ein Geschenk ist. Und dass man sich jeden Tag bewußt für oder gegen etwas entscheiden kann. So die Richtung.
Ich entscheide mich dafür, die Gesellschaft von Irene und Manfred zu genießen und über alles Weitere später nachzudenken.
Wir treffen noch den Freiburger Frank, der mit seiner Frau unterwegs ist. Er sagt, er muss unbedingt seine Frau zu uns schicken, damit sie sieht, dass man auch mit Kindern eine derartige Reise machen kann. Sie versuchen gerade, schwanger zu werden.
Eine Weile beobachtet er mit einem verzückten Lächeln um die Lippen, wie Levi auf dem Zugboden spielt. Alle paar Minuten putze ich Levis pechschwarzen Hände mit feuchten Tüchern. Kein Vergleich zu den hygienischen Verhältnissen unter Olga. Wirklich nicht.
Wenn er das überlebt überlebt er alles, lacht Frank und verschwindet Richtung Ehefrau.
Dann ist Grenzkontrolle. Erst die russische. Der Zug steht für 2 Stunden. Formulare werden ausgeteilt, auf russisch. Manfred, Irene und ich beschliessen, sie nicht auszufüllen. Wie auch. Wir können kein russisch. Ein bißchen unheimlich ist uns schon dabei. Rebellion kommt in Russland nicht so gut an, befürchten wir.
Das holländische Paar zwischen unseren Abteilen entscheidet sich für das holländisch-russische Wörterbuch. Nach zwei Stunden haben sie zwei Zeilen. Kurz bevor die Grenzbeamten kommen findet der mongolische Waggonschaffner die Zettel auch auf englisch.
Dann marschiert eine strenge uniformierte Dame mit Schiffchenhut und Aktentasche durch unseren Waggon. Gefolgt von zwei jüngeren militärisch gekleideten Männern mit Schäferhunden. Raustreten aus dem Abteil, nicht reden, ernst schauen ist angesagt.
Jedes Abteil wird durchsucht. Auch die Teppiche im Gang umgedreht. Ein kalter scharfer Wind weht durch die bunte Reisegemeinschaft. Levi gluckst dazu. Der Stimmungswechsel geht komplett an ihm vorbei.
Wir sind fast als letzte an der Reihe. Als die Beamtin Levi sieht brechen die harten Gesichtszüge auf, die Mundwinkel hüpfen nach oben, die Augen werden größer, eine sanfte Melodie russischer Worte, immer wieder malinke (oder so ähnlich, was ja klein bedeutet) einstreuend – auch russische Grenzbeamtinnen haben ein weiches Herz, wenn es um Babys geht.
Unsere Kontrolle ist ratz fatz vorbei, wir sitzen wieder im Abteil, trinken Milch bzw. Tee und freuen uns auf die Mongolei.
Entgegen aller Erwartungen unserer Mitreisenden macht Levi vieles einfacher auf dieser abenteuerlichen Reise.
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Die Österreicher Manfred und Irene sind in Wien in den Zug gestiegen und fahren bis nach Lhasa.
Wow. Sie finden es toll, von dem Bahnhof, von dem sie normalerweise zu ihren Jobs gefahren sind, jetzt für 6 Monate aufzubrechen. Eine ähnliche Geschichte hat mir ein Amsterdamer Päärchen am Baikalsee erzählt. Vom Amsterdamer Bahnhof sind sie nach Nepal aufgebrochen. Für 6-12 Monate. Auf der Suche nach neuen Inspirationen für ihr Leben. Und auf der Flucht vor der Langeweile und Routine ihrer Jobs. Gekündigt haben beide. Kein Sabbatical, wie Manfred.
Manfred war letztes Jahr schon einmal mit der Transsib aufgebrochen. In der Ukraine hat man ihn aus dem Zug geworfen und in ein Krankenhaus zwangseingeliefert. Er hatte starkes Fieber. Und sah auch sonst nicht so gut aus, berichtet er. Im Krankenhaus fand man dann nichts. Wollte ihn aber festhalten, da er ja nicht gut aussah.
Irenes Eltern fuhren dann 11 Stunden von Wien in das Ukrainer Krankenhaus, entführten den Freund ihrer Tochter und fuhren ihn 11 Stunden über schlechteste Straßen zurück nach Wien. Dort wurden Löcher in seinem Darm festgestellt, Manfred sofort notoperiert. Knapp überlebte er die Aktion.
Mit leuchtenden blauen Augen steht er jetzt vor mir. Ich habe auch so eine Geschichte erlebt, behalte sie aber für mich. Menschen, die dem Tod nahe waren haben irgendwie eine besondere Ausstrahlung. Finde ich. Zumindest diejenigen, die aus diesem Erlebnis etwas mitnehmen, die es nicht einfach leichtfertig verdrängen. Manfred ist so einer. Diese Tiefe strahlt er aus. Ein besonderes Bewußtsein für das Leben vielleicht. Dafür, dass wirklich jeder blöde Alltagsmist ein Geschenk ist. Und dass man sich jeden Tag bewußt für oder gegen etwas entscheiden kann. So die Richtung.
Ich entscheide mich dafür, die Gesellschaft von Irene und Manfred zu genießen und über alles Weitere später nachzudenken.
Wir treffen noch den Freiburger Frank, der mit seiner Frau unterwegs ist. Er sagt, er muss unbedingt seine Frau zu uns schicken, damit sie sieht, dass man auch mit Kindern eine derartige Reise machen kann. Sie versuchen gerade, schwanger zu werden.
Eine Weile beobachtet er mit einem verzückten Lächeln um die Lippen, wie Levi auf dem Zugboden spielt. Alle paar Minuten putze ich Levis pechschwarzen Hände mit feuchten Tüchern. Kein Vergleich zu den hygienischen Verhältnissen unter Olga. Wirklich nicht.
Wenn er das überlebt überlebt er alles, lacht Frank und verschwindet Richtung Ehefrau.
Dann ist Grenzkontrolle. Erst die russische. Der Zug steht für 2 Stunden. Formulare werden ausgeteilt, auf russisch. Manfred, Irene und ich beschliessen, sie nicht auszufüllen. Wie auch. Wir können kein russisch. Ein bißchen unheimlich ist uns schon dabei. Rebellion kommt in Russland nicht so gut an, befürchten wir.
Das holländische Paar zwischen unseren Abteilen entscheidet sich für das holländisch-russische Wörterbuch. Nach zwei Stunden haben sie zwei Zeilen. Kurz bevor die Grenzbeamten kommen findet der mongolische Waggonschaffner die Zettel auch auf englisch.
Dann marschiert eine strenge uniformierte Dame mit Schiffchenhut und Aktentasche durch unseren Waggon. Gefolgt von zwei jüngeren militärisch gekleideten Männern mit Schäferhunden. Raustreten aus dem Abteil, nicht reden, ernst schauen ist angesagt.
Jedes Abteil wird durchsucht. Auch die Teppiche im Gang umgedreht. Ein kalter scharfer Wind weht durch die bunte Reisegemeinschaft. Levi gluckst dazu. Der Stimmungswechsel geht komplett an ihm vorbei.
Wir sind fast als letzte an der Reihe. Als die Beamtin Levi sieht brechen die harten Gesichtszüge auf, die Mundwinkel hüpfen nach oben, die Augen werden größer, eine sanfte Melodie russischer Worte, immer wieder malinke (oder so ähnlich, was ja klein bedeutet) einstreuend – auch russische Grenzbeamtinnen haben ein weiches Herz, wenn es um Babys geht.
Unsere Kontrolle ist ratz fatz vorbei, wir sitzen wieder im Abteil, trinken Milch bzw. Tee und freuen uns auf die Mongolei.
Entgegen aller Erwartungen unserer Mitreisenden macht Levi vieles einfacher auf dieser abenteuerlichen Reise.
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Viel Spass. Wir hatten dies ebenfalls vor 4 Wochen. Es war sehr spannend zu sehen, wie sich die Grenzkontrolle an der russischen Grenze entlang zieht. Die Mongolen sind viel entspannter. Und das Beste fanden wir, dass diese noch für den Zug salutieren. Wir wünschen Euch weiterhin viel Spass auf Eurer Reise. Geniesst es. Wir vermissen schon jetzt das leise Rattern des Zuges... :-)
AntwortenLöschenViele Grüsse
Marco & Nancy
Hallo Frau Dr. Malchow, war gestern in Ihrem blog und war so begeistert, dass ich meinen Anzeigenstil in der brandeins geändert habe. Hier der Text (erscheint in der brandeins am 21.10.11):
AntwortenLöschenÜberschrift: "Reise-Mama-Baby-transsib" Anzeigentext: "Eigentlich wollte ich einmal aussetzen mit den Anzeigen für den Personal Identity Development Process-PIDP®. Aber dann bekam ich eine E-Mail meiner Kundin "bin ab nächste Woche mit meinem 10 Monate alten Sohn in der Transsibirischen Eisenbahn. Näheres im blog: http://reise-mama-baby-transsib.blogspot.com/". Ich postete "gefällt mir" und las, las, las ... und fand den Reisebericht von Dr. Julia Malchow (Mavia Soul Travel) so faszinierend, dass ich Ihnen davon berichten möchte. Hans-Peter Wellke"
Als Leser können wir ein wenig mitfahren. Herzlichen Dank dafür.
Gute Reise Frau Dr. Malchow, gute Reise Levi!