Freitag, 21. Oktober 2011

Markus fliegt nach Hause



Der Flieger geht um 13.20 Uhr.  Jetzt ist es 10 Uhr. Levi schläft. Markus Tasche ist gepackt. Wir haben in unserem Zimmer gefrühstückt. Die Welt soll bloß noch draußen bleiben. Wenn nur die Zeit nicht laufen würde...




Es wäre toll zu Dritt weiterzureisen, sage ich. Markus schaut mich traurig und lachend zugleich an. Das stimmt wohl, sagt er. Aber seine Pläne in Deutschland lassen das nicht zu. Und außerdem ist das ja auch ein Mutter-Sohn-Projekt. Und Markus ist „nur“ der Vater. Aber diejenige, die das Projekt steuert, kann ja auch die Regeln ändern, oder? Mann, warum müssen schöne Ideen so weh tun??

Heulend stehe ich an der geöffneten Hotelzimmertür, als der Lift klingelt, Markus darin verschwindet und der Mann, der gerade aus dem Nebenzimmer heraus eilt, mich mitleidig anschaut. Als die Tür klickend ins Schloß fällt, wacht Levi auf. Ich hebe ihn aus dem Bett und laufe auf den Balkon, um Markus noch im Taxi verschwinden zu sehen. Auch Levi macht eine lange Nase. Das Taxi biegt zweimal links ab und verschwindet hinter der baumumrahmten Straße. Es ist 11 Uhr 15 und die Wahrscheinlichkeit, dass Markus in 2 Stunden wieder an unsere Tür klopft, weil er den Flieger verpasst hat ist gar nicht so klein.

Ob wir nur noch zu Dritt verreisen sollten? Zumindest so lange? Wenn es mir so schwer fällt, obwohl ich es rationalisieren kann, wie fühlt sich Levi wohl, wenn er seinen Vater mehrere Wochen nicht sieht?  Aber jetzt sind es ja nur noch einige Tage. Eine gute Woche. 10 Tage, um genau zu sein. Komisch, in St Petersburg ist uns der Abschied doch auch nicht so schwer gefallen?

Lass uns schwimmen gehen, schlage ich Levi vor. Erstens macht uns beiden das Spaß und zweitens ist es im Pool normal, ein nasses Gesicht zu haben. Der Pool, der Levi in den letzten Tagen mit Markus zusammen zum Quiecken brachte, sobald er ihn sah, kann ihm heute nur einen fragenden Blick entlocken. Als ich ihn wie Markus die Tage zuvor durch das Wasser gleiten lasse planscht er nicht wie verrückt, sondern kann sich nur zu ein paar müde lässig langsamen Arm- und Beinschlägen überreden lassen. Also wieder hoch ins Zimmer, mit unserem neuen Lieblingslied auf den Lippen: Ohne Papa macht schwimmen keinen Spaß mehr, oooohneeee Paaaaapaaaa macht schwiiiimennn keinen Spaaaaß meeeehr!!!
Zwei Dinge helfen meistens bei akuter Traurigkeit: Tanzen und Shoppen! Also stelle ich die Lautsprecher meines Laptops auf maximale Lautstärke und tanze mit Levi zur in Irkutzk durchs britische MTV inspirierte Käufe von Dance Titeln: Seek Bromance ist unser Lieblingsstück.

Nachdem gegen 13 Uhr der Anruf kommt, dass Markus den Flieger erwischt hat, laufen Levi und ich los zum Replica Market. Wie verletzte Tiger ziehen wir unruhige Kreise in dem vierstöckigen übervollen Gebäude, bis uns eine junge Chinesin überzeugt ausgerechnet an ihrem Taschenstand stehen zu bleiben. Sie spricht deutsch. Sehr gutes deutsch. Und damit wickelt sie Levi um den Finger. Oh, Du bist ja ein süßer kleiner Mann, sagt sie zu ihm. Levis Augen leuchten. Mann Levi, die will Dir doch nur was verkaufen! Aber Levi ist Feuer und Flamme. Wie alt bist Du denn, fragt sie fast akzentfrei. Und aus welcher Stadt kommst Du? Sie hat Deutsch an einer Sprachschule gelernt, sie interessiere sich für andere Länder, beantwortet sie meine Frage. Levi zupft schon an zwei der drei Taschen herum, die sie ihm vor die Nase hält. Wenn es nach ihm ginge, würden wir beide nehmen, so strahlt er. Mir gefällt außer der netten Verkäuferin leider wirklich gar nichts in ihrem Sortiment, und daher verabschieden wir uns freundlich und gehen langsam weiter. 

Ich zupfe Levis Mütze zu recht, die Klimaanlagen sind wirklich kühl eingestellt heute, da höre ich ein in für meine Ohren in perfektem Französisch geführtes Verkaufsgespräch. Und die Stimme kommt mir sehr bekannt vor. Ungläubig drehe ich mich um und sehe unsere Verkäuferin, wie sie mit einem französischen Paar parliert. Jetzt bin auch ich von dieser jungen Chinesin restlos begeistert. Nicht nur, dass mir in Peking bisher kaum Chinesen begegnet sind, die Englisch auch nur annähernd so gut sprachen, wie diese Frau Deutsch und Französisch. Und sie spricht bestimmt auch Englisch, daran habe ich keinen Zweifel. Aber sie arbeitet darüber hinaus in diesem Markt. Also wirklich gar nichts deutet auf eine hilfreiche Herkunft oder Ähnliches hin. Eine junge Selfmadefrau. Wow.

Meine emotionale Phase muss die Verkäuferin des Standes, vor dem wir jetzt stehen bemerkt haben, und bestimmt manövriert sie mich mitten hinein in ihr Produktparadies aus gefälschten Chanels, Pradas und Chloes. Da ich aufgrund der vorangegangenen Ereignisse des Tages immer noch wie ein angeschossenes Reh in die Welt schaue, schaffe ich den Absprung nicht, sondern begutachte halbherzig einige Taschen. Eine gefiele mir im Original tatsächlich und das merkt sie. Was ich zahlen will dafür, fragt sie in gebrochenem Englisch. Nichts, sage ich, Ich brauche keine Tasche. Sie tippt einen Preis in den Taschenrechner. 1280 Juan, also ca 100 Euro. Ich lache. Neinneinnein. Und will gehen. Sie hält mich fest. Ich stutze. Sie hält mich wirklich physisch fest. Die 150cm kleine Person versperrt mir doch tatsächlich den Ausgang, hält mir den Taschenrechner unter die Nase. Ich soll was eintippen.Will ich aber nicht. Ich will gehen. Sie lässt nicht locker. Lachend tippe ich 300 ein. Sie schimpft, fuchtelt mit den Armen, ich will gehen. Jetzt hält sie Levi fest, der im Björn um meinen Körper geschnallt ist. Ich habe keine Lust die Situation eskalieren zu lassen, oder meinerseits körperliche Gewalt einzusetzen, also sage ich, dass ich kein Interesse an der Tasche habe. Woraufhin sie die Tasche einpackt und die 300 haben will. Und mich als Verkaufsargument am Arm festhält. Ich zahle, der Quetschekasten wird geöffnet und Levi und ich dürfen fast unversehrt passieren.
Wir erholen uns vor dem Wasserspiel gegenüber des Porsche Show Rooms, beobachten, wie chinesische Kinder versuchen, durch die Fontänen hindurchzulaufen, ohne naß zu werden. Ohne großen Erfolg. Aber Levi lacht und scheint zufrieden. Ich kaufe noch ein Oberteil in einem regulären Geschäft. Statt  der ausgezeichneten 2.000 Juan wird es mir für 800 angeboten -  verstehe einer die Verkaufsstrategien der Chinesen. Danach Essen wir was auf unserer schönen Hotelterrasse, um wenig später wie betäubt ins Bett zu fallen.

Um 24 Uhr klingelt mein Telefon: ich bin gelandet, sagt Markus. Warst Du wirklich heute Mittag noch hier? frage ich zurück.

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1 Kommentar:

  1. Oje, ich tue mich mit Trennungen auf Zeit auch immer so schwer. Manchmal muss es ja sein. Oder man hält es für eine gute Idee. "Fahr mal mit deinen Freundinnen weg und hab Spaß" Aber dann ziept es und die Sehnsucht zurück ist mein ständiger Begleiter. ;)

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