Dazu kommt, dass Levi super aktiv und ein wenig unruhig ist. Ich habe den Eindruck, dass er gerade das Reisen verarbeitet. Und dafür fehlen ihm ja noch die Worte. Stattdessen zappelt er. Und will alles anfassen, was ihm in die Quere kommt – inklusive Streichhölzern (nein), Mülleimern (neinnein), iphones (neinneinnein!!). Dieses Nein-sagen macht mir überhaupt keinen Spaß. Seine zitternde Unterlippe dazu noch viel weniger.
Außerdem bin ich erkältet. Recht stark sogar. Zum Glück hat Levi noch nichts. Ich hoffe, es bleibt dabei. Meine Nase ist zu und der Kopf dröhnt. In der rein russischsprachigen Apotheke – wieviele Leute in einem Dorf hinter Rosenheim sprechen schon russisch? – habe ich mich mit Medikamenten eingedeckt. In der Hoffnung, mit meiner Zeichensprache nicht total mißverstanden worden zu sein stopfe ich die doppelte empfohlene Dosis in mich rein. Entweder bin ich morgen gesund oder tot.
Zu allem Überfluß bekomme ich E-Mails von Mitarbeitern, die mir zeigen, dass während meiner Abwesenheit nicht nur nicht die – meines Erachtens – gemeinsam definierten Baustellen geschlossen, sondern viele neue – meiner Meinung nach unnötige - Löcher aufgerissen werden.
Wo bist Du Natascha? Markus? Rita? OOOOlgaaaaa!!!! Mit Menschen ist alles leichter, schöner, erträglicher.
Aber hier, in diesem zwar schönen, doch anonymen Hotel haben wir bisher keinen Kontakt knüpfen können. Und gemessen an meinen Erfahrungen mit derartigen Hotels wird das wohl auch so bleiben. Ist mir auf der anderen Seite auch ganz recht. Ich bin eh noch voller Natascha, Bolshoi Koty und Baikalsee.
Also fühlen wir uns gerade doppelt allein. Dreifach eigentlich.
Das alles zusammen lässt mich jetzt, da es auf halb zehn Uhr abends zugeht und Levi immer noch nicht schlafen will, langsam aber sicher die Geduld verlieren. Und die Kraft. Ich kann nicht mehr spielen. Und will auch nicht.
Wie machen Alleinerziehende das? Wenn sie krank sind? Und keine Eltern um die Ecke haben, sich keinen Babysitter leisten können? Oder wenn sie Stress haben, etwas fertig werden muss. Und das Kind plärrt? Muß ja gar nicht mal Alleinerziehend sein, die meisten Frauen heutzutagen in Deutschland sind ja de facto alleinerziehend. Mann im Job, Frau das erste Jahr zu Hause. Ist zumindest mein Eindruck.
Nicht, dass ich meine selbstgewählte Situation in Irkutzk mit der Situation Alleinerziehener eventuell auch noch finanziell nicht gutgestellter Alleinerziehender vergleichen möchte. Ich kann ja jederzeit abbrechen. Will ich aber nicht. Ich finde es gigantisch mit Levi. Er lässt sich auf alles so selbstverständlich ein. Ich bin ganz stolz auf ihn.
Nur gerade jetzt, in diesem Moment, bin ich total am Ende.
Ich kann nicht mehr. Kann es nicht bitte ganz schnell Morgen sein?
Ich schaue diesen fröhlich hektisch vor sich hin spielenden kleinen Menschen an und könnte ihm eine Rede darüber halten, dass ich jetzt unbedingt eine Stunde für mich brauche. Und um dann noch genügend Schlaf zu bekommen – also – halbwegs – der Wecker klinget morgen um 3.15 – es geht wieder in den Zug!!! – wird es jetzt wirklich laaaangsam Zeit, dass er die Augen zumacht. Er torkelt zwar schon und kann den Kopf immer weniger kontrollieren. Macht Schlitzaugen. Aber schlafen? Sobald ich ihn sanft in die Horizontale drücke, stemmt er sich mit aller Kraft und unter lautem Protest gegen mich.
Ich packe ihn, setze ihn in den Maxicosi und rolle ihn im Zimmer im Kinderwagen hin und her. Innerlich zittere ich. Äußerlich versuche ich mir nichts anmerken zu lassen. Wut, Verzweifung und schlechtes Gewissen ergeben eine explosive Mischung.
Kinder leben echt auf einem Pulverfaß, denke ich. Ich weiß, soweit man das wissen kann – und darüber hinaus – dass ich mich gegenüber Levi im Griff habe. Dass ich ihn nicht anbrülle. Oder Schlimmeres. Dennoch steigen derartige Szenarien in meinem Kopf auf. Und dafür hasse ich mich. Und was ist mit den Menschen, die sich nicht im Griff haben? Die eventuell trinken, Drogen nehmen, echte Probleme haben? Wie überleben die Kinder das? Derartige Menschen können sich doch gar nicht im Griff haben? Gut, die reisen auch nicht durch Sibirien, alleine, mit Baby, aber dennoch. Kind zu sein erfordert ganz schön viel Mut. Zum Glück verstehen Kinder das erst, wenn sie aus der größten Gefahr raus sind.
Ich fange an meine Rede über die Notwendigkeit etwas Zeit für mich zu haben zu halten, nachdem alle Schlaflieder inklusive des Bibabutzelmannes versagt haben – und Levi lacht. Lauthals. Lacht mich mit seinem breiten strahlenden Lächeln an.
Ich könnte heulen.
Er ist so süß, so geradlinig, so gut drauf , so voller Energie – so wie ich ihn mir gewünscht habe – aber warum liefert er mir ausgerechnet heute eine derartig perfekte ich bin das super gut drauf Baby Performance? Warum kann er nicht heute mal, wie andere Babys auch – einfach müde sein und schlafen???
Ich könnte ihn zurück schicken in die Babyursuppe. One way ticket. Kaum ist dieser Gedanke gedacht, drücken Tränen gegen die Innenseite der Augen. Mann, bin ich fertig. Und dann ärgere ich mich so über mich, dass mir ein großer Schwall Wutträenen aus den Augen entkommt.
Levi schaut mich mit grossen Augen an. Ich nehme ihn aus dem Cosi, drücke ihn an mich, spiele noch eine Stunde mit ihm, bis er aufgibt.
Puh. Das war knapp.
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Den halben Tag nun schon lese ich diesen Blog und bin voellig fasziniert. Ich habe auch einen zehn Monate alten Sohn, mit dem ich in Nordengland allein lebe; jede zweite Halbwoche ist er bei seinem Vater im Sueden des Landes. Gereist sind wir auch schon sehr viel, zwar noch nocht bis in die Mongolei, aber 15 Stunden von Luebeck nach Jyvaskyla in Finnland hatten wir schon, mit fuenf verschiedenen Transportmitteln. Ayo ist ein prima Reisekind!
AntwortenLöschenUebrigens erhole ich mich gerade vom Kranksein. Wie alleinerziehende berufstaetige Muetter das machen? Mit einem verantwortungsbewussten anderen Elternteil, der seine das Kind zu sich nimmt, damit Mama gesunden kann. Mit vielen Freund/inn/en, einer Kinderkrippe am Arbeitsplatz und einer Babysitterin. Aber als es das alles vor einem halben Jahr noch nicht gab, sondern nur Streit und Isolation in der Grossstadt, habe ich Ayo in aehnlichen Situationen ein paar Mal angebruellt oder das Zimmer verlassen. Auf ersteres bin ich nicht stolz, aber zum Glueck hat es ihm offensichtlich nicht geschadet, und jetzt, wo wir jeweils mehr Raum fuer uns haben, verstehen wir uns viel besser.
Okay, weiter zu Tag 23. :-)