Mittwoch, 21. September 2011

Russische Krankenhäuser will man echt nicht von Innen sehen...

Aber ehrlich gesagt, schlimmer als die Urologie in Harlaching war es nicht. Aber da will ich auch nicht nochmal hin. Das russische Provinzkrankenhaus von Listwjanka liess sich heute leider nicht vermeiden.
Dabei hatte alles so perfekt begonnen: Sonne, mit Levi vor dem Frühstück spielen, zusammen vor dem Spiegel Zähne putzen, er auf meiner Hüfte. Frühstücken, spielen auf der Sonnenterasse mit Blick auf den Baikalsee.
Levi rupft Blumen aus den Kübeln, Tatiana sagt, dass sei ok. Er hilft ihr beim Spülen, d.h. er rührt mit einem Suppenlöffel in einer blauen Plastikschüssel, jagt einer Tasse hinterher, die er mir vorher abgemäht hat.

Dann, es geht auf die Mittagsschlafzeit zu, wird er heulig. Schlafen ist aber noch gar nicht angesagt.
Und dann sehe ich es: 30 Splitter stecken in seinen beiden keinen puscheligen perfekten Händen. Seine Unterlippe zittert. Mir schiessen die Tränen in die Augen, aber das hilft Levi nicht. Also weg damit.
Pinzette raus, Levi dreht und windet sich mit einer Kraft gegen die die Windelwechselkämpfe lächerlich erscheinen. Und selbst die gewinne ich nicht immer.

Die grössten zwei schaffe ich irgendwie doch, aber für alles Weitere ist die Pinzette zu stumpf. Also auf ins Krankenhaus. Ich fühle mich in einen Kriegsfilm hineinversetzt, Notlazaret, aber es hilft ja nicht.
Die 60jährige Ärztin mit fetter Brille holt eineNadel, durch die meine halbblinde Oma einen Faden fädeln könnte, hätte sie ein Öhr.

Ich denke an Flucht, habe aber keinen Plan B, kein zweiter Arzt, Apotheke geschlossen, nutzlose Pinzette. Also bleiben wir. Levi ahnt noch nichts und lacht die rein russischsprachige Dame an.
Aber nur kurz. Mein Job ist es, ihn festzuhalten. Die ersten 30 Sekunden erträgt er heroisch. Dann geht eine Verzweiflungs- Schmerzsirene los, die mich zum Heulen bringt. Blut tropft. Levi windet sich. Zwei Spreißel schafft die Dame. Dann kapituliert sie. Die anderen seien nicht so tief. Die kommen von alleine raus. So verstehe ich ihre Zeichen und Worte und Mimik. Und das malinka oder so ähnlich klein bedeutet habe ich mittlerweile kapiert.

Behauptet sie das nur, um die morschen Krankenhausmauern vor dem Zusammenbruch durch Levis Gebrüll zu bewahren? Oder erträgt sie es einfach nicht mehr? Die heulende Mama und der brüllende Powerzwerg?
Oder hat sie vielleicht einfach recht? Egal, ich will raus. Zeit gewinnen.

Levi kammert sich an meiner Hüfte fest. Wir schmusen am Strand und als er sich gefangen hat bekommt er sogar mein iPhone zu schnuckern. Was ich später bedaure, als ich den Vater des Patienten über die Details aufklären und um Rat fragen will. Er hört mich. Aber ich ihn nicht. Levis Sabber legt den Hörer immer für einen halben Tag lahm. Billigteil.

Eine Deutsche, über die wir zufällig stolpern und die nach Kindererfahrung aussieht, frage ich um Rat. Seifenlauge. Dann käme alles raus. Sie meint auch, Levi sei außer akuter Gefahr. Blutvergiftung, Entzündungen, Schmerzen, ist alles, was ich denken kann. Und: wie soll ich ihn krabbeln lassen mit den Wunden? Macht das so noch Sinn? Levi baumelt in der Babytrage und scheint alles vergessen zu haben. Zur Belohnung gehen wir ins Hotel Mayak, da gibt es ein riesiges Aquarium unter der Rezeption. Er steht 45 Minuten davor und verfolgt die Fische mit seinen geschundenen Fingern. Mein tapferer Zwerg.

Mir steckt dennoch eine Vorstufe von Panik in den Knochen. Derart blöde kleine Splitter können zu einem so großen Problem werden. Was, wenn wirklich was passiert. In der Mongolei habe ich die Telefonnummern für Notfalheliausflug. Für Russland war das nicht zu finden. Eine Stunde nach Irkutzk, Flug nach Moskau, Flug nach Hause ist die Speedvariante. Ich fühle mich wie eine Kinderquälerin. Levi juchzt vor dem Aquarium. Krabbelt zu mir. Ich drücke ihn. Er will zurück zu den Fischen.

Ich setze mich in einen der Sessel und bestelle ein Bier, auf den Schock. Mein erster Alkohol seit Petersburg. Mann. In dem Moment kommt eine vollschlanke platinblondgelockte Frau mittleren Alters auf mich zu. Wo ich herkäme will sie wissen. Als ich München sage klappt ihr Unterkiefer nach unten. Ihre Augen strahlen keine Sympathie mehr aus. Mit Baby, hierher, alleine! Ja! Oh my God. Sie kommt aus London erfahre ich noch, bevor sie brave und crazy und good luck irgendwie zu einem Satz verwurstelt.

Levi hockt auf dem Schoss der Rezeptionistin und zählt mit ihr Spielzeugrobben. Vermutlich für den Hotelshop. Was weiß ich. Wir schleppen uns beim in unser Holz'chalet'. Mehr wär mir jetzt nach einem wirklich schönen komfortablen Boutiquehote. Zum Wunden lecken. Aber die gibt es hier nicht. Die reichen Russen haben eigene Ferienhäuser hier. Touris müssen in die rustikalen landsstypischen Unterkünfte. Was ja ok ist. Eigentlich.

Nachdem ich Levis Hände eingeweicht und noch 3 weitere Splitter rausoperieren konnte und wir gerade nackig vor der Dusche stehen um den Tag wegzuwaschen sind wir plötzlich von stockschwarzer Dunkelheit umgeben. Der ganze Ort ohne Strom. Levi plärrt, ich sehe nicht warum, taste nach der Stirntaschenlampe, die mir nachts den Weg zur Toilette leuchtet. Damit ich Sohni nicht störe.

Was für ein Scheisstag. Wir laufen im stirnlampenbeleuchteten Raum auf und ab und gehen in ein Mutter-Sohn-Zwiegespräch über den weiteren Verlauf der Reise.

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3 Kommentare:

  1. Der erste Alkohl sseit Petersburg - achso, verstehe, da hätt ich auch keinen Bock mehr und würde heim wollen :-)
    IPhone=Billigteil=Sch...Appleschrott, sag ich doch immer!!!!

    Ganz LG
    Jürgen

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  2. hej, nur mut, immer nur mut!

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  3. Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn ich hier stöbere. Dass man an manchen Punkten als Mutter Angst bekommt, kann ich aber gut nachvollziehen. Im Hotel am Brenner ist mein Kleiner von einem umgestürzten Baum gefallen - eigentlich eine Kleinigkeit, aber ich war schon fast mit den Nerven am Ende.

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